03.08.2013, Antira-Netzwerk Sachsen-Anhalt

Protest der Flüchtlinge in Bitterfeld

Am Abend des 1. August 2013 errichteten Flüchtlinge in Bitterfeld ein Protestcamp. Weitere Flüchtlings-Protestcamps sind in Berlin, Eisenhüttenstadt und Nürnberg. Dem Protestcamp voraus ging eine Demonstration mit 70 Teilnehmer_innen, die am Bitterfelder Bahnhof startete über die Ausländerbehörde und den Marktplatz führte und im Park in Bitterfeld endete, dort steht jetzt das Protestcamp.

Ins Leben gerufen wurde der dauerhafte Protestort hauptsächlich von Menschen, die im Lager Friedersdorf leben müssen. Mit dem Camp sollen die unhaltbaren Zustände, die in Friedersdorf, aber auch in den anderen Lagern in Sachsen-Anhalt herrschen in die Öffentlichkeit getragen werden. Konkrete Forderungen wurden von den von Isolation und Entrechtung betroffenen Menschen bereits in der Vergangenheit mehrmals formuliert. Bisher aber gab und gibt es keine Reaktionen oder Bemühungen seitens der politischen Verantwortlichen oder der Behörden, von Überlegungen, die Lebenssituation der Flüchtlinge endlich humaner zu gestalten, ganz zu schweigen.

Bereits in den vergangene Monaten machten die BewohnerInnen des Lagers auf die Situation in Friedersdorf aufmerksam indem sie u.a. eine Straßenblockade errichteten. Die Proteste richten sich seit Beginn gegen das Asylverfahren, Abschiebehaft und Abschiebungen, gegen die geringen Anerkennungsquoten und langen Wartezeiten, sowie gegen die daraus resultierenden Lebensumstände, die das deutsche Aufenthaltsgesetz und das Asylbewerberleistungsgesetz für Menschen ohne dauerhaften Aufenthalt vorsieht. Besonders steht dabei das fremdbestimmte Leben und Wohnen in Lagern und die Isolation und Ausgrenzung in der Kritik. Bewohner*Innen des Lagers Friedersdorf berichteten vermehrt von massiven Eingriffen in ihre Privatsphäre, die nicht nur eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte darstellen, sondern auch verheerende Auswirkungen auf das Asylverfahren haben können, wenn z.B. wichtige Post von Behörden den Adressaten vorenthalten oder erst Tage und Wochen später ausgehändigt wird. So verstrichen in einigen Fällen wichtige Fristen, die eingehalten werden müssen, um z.B. einen Widerspruch einlegen zu können. Von einer ähnlichen rassistischen Praxis berichten auch Flüchtlinge aus anderen Lagern, wie in Vockerode im Landkreis Wittenberg.

Ebenfalls blieb der Tod von Cosmo Saizon, ein Bewohner des Lagers Friedersdorf, aufgrund mangelnder medizinischer Versorgung bisher ohne Konsequenzen. Nachdem der Verstorbene über längere Zeit mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatte und nicht adäquat medizinisch betreut wurde, verstarb er mit 33 Jahren im April diesen Jahres. Wenig später, im Mai, erreichte die Öffentlichkeit eine weitere Todesmeldung. Diesmal war im Lager in Bernburg Adams Bagna an Atemnot durch ein chronisches, unbehandeltes Asthmaleiden verstorben. Adams Bagna persönlich als auch andere Bewohner*Innen des Lagers hatten in der Vergangenheit mehrmals sowohl auf die schlechte ärztliche Versorgung als auch die gesundheitlichen Belastungen hingewiesen, die durch das monatliche Versprühen von giftigen Insektiziden in den Wohn- und Schlafräumen entstehen. Die maroden, alten Plattenbauten des Lagers werden massiv von Kakerlaken besiedelt. Da die Flüchtlinge nur von der Heimleitung zugeteilte Bettwäsche haben, können sie ihre Betten nach den Insektizideinsätzen nicht neu beziehen. So müssen sie in den Rückständen der Insektizide schlafen. Wann und wie oft sie ihre Kleidung waschen wollen, können die Flüchtlinge nicht selbst bestimmen. Sie sind von den Vorschriften der Heimleitung abhängig. Somit dauert es teilweise nach dem Einsatz der Insektizide bis zu einer Woche bis ihre Kleidung, Bettwäsche, Handtücher etc. gereinigt werden kann.

Beide Todesfälle stehen im Zusammenhang mit systematischen Benachteiligungen, denen Flüchtlinge in Deutschland ausgesetzt sind, welche weitreichende und drastische Auswirkungen auf das Leben und auf das psychische Wohlbefinden und die Gesundheit der Betroffenen haben. Die Vorwürfe einer unzureichenden medizinischen Versorgung wiesen politische Akteure, genannt sei hier Bernhard Böddeker, Dezernent für Sicherheit, Ordnung und Kommunales und stellvertretender Landrat im Landkreis Anhalt-Bitterfeld, nicht nur als unbegründet zurück. Vielmehr versuchte Böddecker die Kritik an den herrschenden Zuständen als Instrumentalisierung des Todes von Cosmo Saizon zu diffamieren. Laut seinen Aussagen werden Flüchtlinge gleichberechtigt und umfassend medizinisch behandelt. Dass die Praxis und das alltägliche Leben für die Betroffenen anders aussieht, zeigen nicht nur die beiden traurigen Todes-„Fälle“ von Cosmo Saizon und Adams Bagna, sondern beginnt da, wo ein erkrankter Mensch, bevor er zum Arzt gehen kann, gezwungen ist auf einen Krankenschein zu warten, sich Fragen von Sozialamtsmitarbeiter*Innen gefallen lassen muss, ob er wirklich zu einem Spezialisten überwiesen werden soll oder anstatt vernünftig versorgt zu werden eine Packung Aspirin verschrieben bekommt.

Gegen diese Zustände, aber vor allem für ein selbstbestimmtes, menschenwürdiges Leben protestieren die Flüchtlinge nun dauerhaft und in aller Öffentlichkeit in Bitterfeld.

Ihre konkreten Forderungen sind:

Wir solidarisieren uns mit den protestierenden und kämpfenden Flüchtlingen und rufen hiermit zur Unterstützung des Camps auf!
Für das Recht zu Bleiben!
Für eine globale Bewegungsfreiheit für alle, unabhängig von der geografischen Herkunft, vom Pass, von der Hautfarbe oder von der Religion und Kultur!

Das Camp wird organisiert von KARAWANE für die Rechte der Flüchtlinge und Migrantinnen Wittenberg, Sachsen Anhalt.
Flüchtlingsbewegung Sachsen Anhalt,
The Voice Refugee Forum Wittenberg Sachsen Anhalt
Antirassistisches Netzwerk Sachsen-Anhalt
Kontakt: 0178-4556190

Mehr Informationen über das Camp: refugeeprotestbtf.blogsport

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