Zur Situation der langjährig geduldeten Flüchtlinge im Landkreis Wittenberg

Flüchtlingskomitee Wittenberg

Die Flüchtlingsinitiative Wittenberg kämpfte drei Jahre lang für die Schließung der ehemaligen russischen Militärkaserne in Möhlau – die politisch Verantwortlichen waren so freundlich gewesen, ab 1992 die dem Landkreis zugeteilten Flüchtlinge möglichst versteckt von der Öffentlichkeit dort unterzubringen. Nach 20 Jahren der Isolation – abgelegen und von Wald umgeben – erwachte das politische Selbstbewusstein der Flüchtlinge. Mit der Flüchtlingsinitiative gründeten sie eine Selbstorganisation, mit der sie fortan ihre Lebensbedingungen und die Kritik daran in die Öffentlichkeit trugen und nach Mitteln und Wegen suchten, um das alltägliche Leid von Flüchtlingen, die nach Auffassung der Behörden nicht wie normale Menschen behandelt werden müssen, zu lindern.

Der Kampf der Flüchtlingsinitiative konnte die Isolation, zumindest in Möhlau, letztendlich durchbrechen. Trotzdem hat sie irreversible Folgen für die Flüchtlinge gehabt, was unter anderem daran deutlich wird, dass sich in Möhlau von 2000 bis 2008 drei Flüchtlinge (aus dem Iran, Vietnam bzw. Afrika) vom Balkon stürzten. Wer nicht selbst über Jahre hinweg in Isolation, ständiger Unsicherheit durch die alle drei Monate zu verlängernde Duldung gelebt hat – durch das Arbeitsverbot und die kaum vorhandenen Beschäftigungsmöglichkeiten mehr oder weniger zum Nichtstun verdammt – wird die psychische Belastung kaum nachvollziehen können. Und die Hoffnung, dass die Schließung Möhlaus an diesem alltäglichen Leid der Flüchtlinge im Landkreis etwas Wesentliches ändern würde, stellte sich als Irrtum heraus: Der Wald ist weg und die Gebäude sind in einem besseren Zustand, aber die Situation in Vockerode ist nicht weniger problematisch als in Möhlau.

Es gibt Flüchtlinge, die schon seit langer Zeit, also seit 10, 15 oder sogar 21 Jahren, im Landkreis Wittenberg leben. Manche haben Familien und Kinder, die hier geboren wurden und inzwischen selbst schon bis zu 17 Jahre alt sind – sie alle haben keinen Aufenthalts-Status, sondern sind geduldet. Ihre Abschiebung ist ausgesetzt, die Duldung muss mindestens alle drei Monate verlängert werden. Diese Flüchtlinge sprechen Deutsch und sind gesellschaftlich gut integriert. Viele von ihnen kämpfen gegen Rassismus und Diskriminierung. Sie alle sind langjährige Opfer des deutschen Asylsystems – ohne eigenes Verschulden und ohne dass sie in irgendeiner Weise ihre eigene Abschiebung be- oder verhindert hätten. Im Gegenteil: Viele dieser Flüchtlinge haben mit den Botschaften kooperiert. Da sowohl das Bundesamt, als auch die Botschaften bei den Verhandlungen über die Anerkennung von Flüchtlingen als Angehörige des jeweiligen Staates vor allem ihre eigenen Interessen im Blick haben, können manche Flüchtlinge nicht abgeschoben werden. Das ist aber eben nicht die Schuld der Flüchtlinge. Der Vorwurf der Ausländerbehörde, dass sie ihre Abschiebung verhindern würden, ist also absurd.

Politik und Gesetz teilen uns in verschiedene Kategorien ein. Damit gehen unterschiedliche Rechte und eine unterschiedlich schlechte Behandlung einher. Manche Flüchtlinge bekommen eine Aufenthaltserlaubnis, die meisten sind nur geduldet und zur Ausreise verpflichtet. Natürlich kommen wir aus unterschiedlichen Ländern und Situationen und haben unterschiedliche Probleme, aber das kann keine Rechtfertigung dafür sein, uns nicht wie Menschen zu behandeln. Diese Politik zerstört seit vielen Jahren das Leben der Flüchtlinge im Landkreis Wittenberg.

Es ist eine zusätzliche Form der Diskriminierung, dass Flüchtlinge unterschiedlich behandelt werden. Die Flüchtlinge, die schon seit 10, 15 oder 21 Jahren hier sind, werden ungeachtet ihrer gesellschaftlichen Integration systematisch von den Behörden ausgegrenzt. Im Vergleich zu manchen neu angekommenen Flüchtlingen haben sie keinerlei Rechte. Sie bekommen keine Arbeitserlaubnis, werden systematisch kriminalisiert und haben kein Recht auf eine Krankenversicherung. Wenn sie krank werden, bekommen sie nur eine schlechte oder überhaupt keine Behandlung und von Seiten der Behörden schlägt ihnen nichts als Repression entgegen. Ihre Bewegungsfreiheit ist durch die Residenzpflicht auf das Bundesland oder sogar auf den Landkreis beschränkt. Die Situation wird durch die Praxis der Behörden in Wittenberg zusätzlich erschwert. Hier sind die Ausländerbehörde und das Sozialamt im Vergleich mit anderen Landkreisen Sachsen-Anhalts unter den repressivsten, was ihren Umgang mit Flüchtlingen betrifft. Das gilt insbesondere für die langjährig Geduldeten. Von 2006 bis heute hat nur ein Afrikaner von den verschiedenen Gesetzen zum Bleiberecht im Landkreis Wittenberg profitiert. In anderen Landkreisen wurden Flüchtlinge, die seit über 8 Jahren dort leben, längst legalisiert. Doch die Behörden in Wittenberg werden vor allem vom Hass gegen Ausländer_innen und besonders gegen Flüchtlinge of Color getrieben, der sich auch in der herablassenden und demütigenden Art und Weise zeigt, mit der Flüchtlingen bei Amtsgängen begegnet wird.

Die repressive Praxis der Wittenberger Behörden zeigt sich auch im Umgang mit den Flüchtlingen, die bis 2003 bzw. 2004 in Roßlau und Zerbst untergebracht waren und die nach der Schließung dieser beiden Lager zwischen Dessau, Bitterfeld, Möhlau und Burg verteilt wurden. Die meisten dieser Flüchtlinge, die seit vielen Jahren (15 und mehr) in Deutschland leben, haben in zwischen einen Aufenthalt bekommen. Wer das Pech hatte, von Roßlau bzw. Zerbst in den Landkreis Wittenberg umverteilt zu werden, musste und muss bis heute dauerhaft in Duldung und mit den bereits genannten Einschränkungen leben. Selbst die dezentrale Unterbringung – falls man davon heute überhaupt noch sprechen kann – bedeutet für die in Coswig, Wittenberg und Gräfenhainichen lebenden Flüchtlinge, die ständige Belästigung durch das Sozialamt. Sie beklagen, dass Frau Schwager und ihre Mitarbeiter_innen häufig früh morgens die Wohnungen der Flüchtlinge besichtigt und sie damit meist aus dem Schlaf reißt. Diese vollkommen unverständliche Praxis muss ein Ende haben.

Wir bedauern außerdem die mangelnde Kooperationsbereitschaft von Seiten der Behörden und der Politik gegenüber den Flüchtlingen. Viele von uns sind schon seit vielen Jahren hier und verfügen über große Erfahrung, was das Leben von Flüchtlingen im Landkreis betrifft. Aber anscheinend ist die Ablehnung des Asylantrags Grund genug, selbst die gewählten Sprecher der Flüchtlinge nicht anzuerkennen und sämtliche Vorschläge, deren Umsetzung für alle Beteiligten von Vorteil wäre, grundsätzlich abzulehnen.

Es ist die moralische und menschliche Verpflichtung Wittenbergs, der Stadt des großen Reformators Martin Luther, nicht weiter zuzulassen, dass die Ausländerbehörde und das Sozialamt das Leben von Menschen zerstören, nur weil wir Flüchtlinge sind. Ihre repressive Praxis, die dazu führt, dass Menschen 21 Jahre lang im Landkreis Wittenberg leben, als wären sie lebendig begraben, muss endlich ein Ende haben.

Stattdessen braucht es eine Willkommenkultur, ein radikales Umdenken beim Umgang mit Flüchtlingen und insbesondere denen, die schon seit über 10 Jahren von einer Duldung zur nächsten hier leben. Viele Flüchtlinge benötigen dringend psychologische Unterstützung oder psychiatrische Behandlung, die ihnen regelmäßig verwehrt wird. Eine Politik der Härte und des Hasses war, ist und wird nie eine Lösung im Umgang mit Flüchtlingen sein. Das müssen auch die Wittenberger Behörden endlich verstehen und sich zumindest dem Niveau anderer Landkreise in Sachsen-Anhalt anpassen, wo Flüchtlingen mit einem gewissen Maß an Toleranz und Akzeptanz und wie Menschen behandelt werden.

Dramane Toure

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