Hintergrundtext zum Abschiebelager HBS
Engagiert Euch für die Schließung des Abschiebelagers Halberstadt!

Abschiebelager, im Sprachgebrauch der Innenministerien als Ausreisezentren oder Zentrale Abschiebestelle bezeichnet, sind abgelegene und umzäunte Lager für Flüchtlinge, die abgeschoben werden sollen. Im Gegensatz zur Abschiebehaft gibt es für die Einweisung weder einen richterlichen Beschluss und Überprüfung noch eine zeitliche Begrenzung. Die Ausländerbehörde entscheidet per Wohnsitzauflage selbst darüber, wer sich dort aufhalten muss und das oft genug willkürlich. Die Flüchtlinge können höchstens versuchen, sich nachträglich aus dem Abschiebela­gern herauszuklagen.

Erst durch das Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes am 03.01.05 gibt es für diese Lager eine gesetzliche Grundlage. Zum Zweck heißt es im § 61 II AufenthG, dass Abschiebelager „die Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise" fördern sollen.

In Sachsen-Anhalt wurde das Abschiebelager am 01.01.2002 in Halberstadt eingerichtet. Einzige Grundlage war ein Erlass des Innenministeriums.
Durch psychischen Druck und soziale Ausgrenzung sollen die Flüchtlinge zur Ausreise aus Deutschland gebracht werden. Angewandte Maßnahmen sind:

- Residenzpflicht für den Bezirk der Ausländerbehörde Halberstadt
- kein Geld, nur Sachleistungen für das unabweisbar gebotene
- zeitlich unbegrenzte Unterbringung
- Befragungen zur Identität durch Mitarbeiter der Ausländerbehörde
- verkürzte Ausstellung von Duldungen
- Arbeitsverbot
- Verlust der sozialen Kontakte, die sie in dem Landkreis, in dem sie zuvor lebten, aufgebaut hatten

Bisher gibt es Abschiebelager in Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Bayern und Sachsen-Anhalt. Bisheriges Ergebnis aller Abschiebelager ist die Il­legalisierung ca. der Hälfte der Flüchtlinge. Von den bis 31.12.03 nach Halberstadt zugewiesenen 112 Flüchtlingen wurden 52 zu Illegalen. In 8 Fäl­len erfolgte eine Abschiebung.

Das Abschiebelager Halberstadt

Das Abschiebelager Halberstadt befindet sich auf dem Gelände der Zentralen Anlauf Stelle (ZASt). Hierhin kommen alle neuen Asylantragsteller, die nach Sachsen-Anhalt verteilt wurden, vor der Zuweisung in die Städte und Landkreise.
Die ZASt in Halberstadt wurde 1991 auf dem ehemaligen NVA-Kasernengelände eingerichtet. Sie be-findet sich 7 Kilometer außerhalb der Stadt. Es erfolgten keine Baumaßnahmen, nur die Fassaden sind seitdem gestrichen worden. Die Zimmer sind noch aus alten Beständen eingerichtet.
Das Abschiebelager befindet sich im Block A, der Platz für 400 Menschen hat. Die ZASt ist im Block B und C untergebracht. Im Block A wurde die 5. Etage durch ein verschlossenes Gitter abgetrennt. Hier werden alleinreisende Frauen und kinderlose Ehepaare eingewiesen, die Gitter sollen zu ihrem Schutz sein. Finanziert wird ihre Unterbringung von den Landkreisen, aus denen sie in das Abschiebelager eingewiesen wurden.

Wer kann in ein Abschiebelager eingewiesen werden

Laut dem Zuwanderungsgesetzt können alle „ausreisepflichtigen" Flüchtlinge in ein Abschiebelager eingewiesen werden. Ausreisepflichtig sind alle Flüchtlinge, deren Asy­lantrag abgelehnt wurde. Wenn Abschiebungshindernisse vorliegen erhalten sie eine Duldung. Nach ihrem ersten Asylantrag werden in Deutschland nur 1,2% der Asylbewerber/innen anerkannt.
Die Einrichtung eines Abschiebelagers liegt allein in der Verantwortung des Bundeslandes, das Zuwanderungsgesetz besagt nur, dass ein Abschiebelager eingerichtet werden kann, nicht mehr.
Laut den Erlassen des Innenministeriums Sachsen-Anhalt kann jede/r Ausländer/in mit Duldung eingewiesen werden, die/der die „Mitwirkungspflicht" verletzt.

Die „Mitwirkungspflicht"

Alle Menschen, die Asyl beantragt haben, sind zur Mitwirkung bei der Beschaffung von Passersatzpapieren verpflichtet, wenn sie keinen Reisepass mehr besitzen. Dies bedeutet meist, sie müssen zu Botschaftsanhörungen gehen, um dort ihre Identität überprüfen zu lassen. Wenn die Botschaft behauptet, ein Flüchtling komme nicht aus ihrem Land, wird davon ausgegangen, dass der Flüchtling lügt. Er/Sie wolle nicht abgeschoben werden und verletze daher die Mitwirkungspflicht.

Botschaftsanhörungen

Für einen politisch verfolgten Menschen bedeutet diese Anhörung, sich bei der Botschaft seiner/ihrer Verfolger zu melden. Dort wird er/sie zu seiner/ihrer Person befragt und evtl. Sprachanalysen durchgeführt. Die Motivation eines Flüchtlings, der nicht in sein Herkunftsland abgeschoben werden möchte, bei seiner Abschiebung mitzuwirken, ist natürlich gering. Aber die Probleme liegen auch oft bei den Botschaften. Zwei Beispiele: Der syrische Staat weigert sich, syrische Kurden als Staatsbürger/innen an­zuerkennen. Der Sudan weigert sich, nicht-arabischsprachige Sudanesen anzuerkennen... Das führt bei den Betroffenen dazu, dass ihnen vorgeworfen wird, die Mitwirkungspflicht zu verletzen.

Passersatzpapiere

Viele Flüchtlinge vernichten ihre Papiere, wenn sie in dem Land angekommen sind, wo sie Asyl beantragen wollen. Sie bekommen zumeist an den Grenzen, die sie legal überqueren, einen Vermerk. Durch die Einschränkung im Grundgesetz, keine aus „sicheren Drittstaaten" Eingereisten an­zuerkennen, können sie, wenn sie diesen Pass noch bei sich tragen, direkt dorthin abgeschoben werden - z.B. aus der BRD nach Polen und von dort in die Ukraine. Nur wenn diese Flüchtlinge ihren Fluchtweg verschleiern, werden sie nicht direkt abgeschoben. Andere fliehen ohne Papier bei sich zu tragen oder müssen sie an ihre Fluchthelfer abgeben.
Dadurch verletzen sie aber die Mitwirkungspflicht.

Sichere Drittstaaten

Dies sind Staaten, die angeblich ein faires Asylverfahren durchführen. Alle Staaten, die an die BRD angrenzen sind als sichere Drittstaaten eingestuft. Die Regelung gibt es seit der Grundgesetzänderung 1993 und hat zur Folge, dass alle Flüchtlinge direkt an den Grenzen abgeschoben werden können, wie z.B. nach Polen. Polen hat wiederum entsprechende Verträge mit der Ukraine und Slowenien abgeschlossen.
Die Folge sind sog. Ketten-Abschiebungen.

Residenzpflicht

Die Residenzpflicht bedeutet die Einschränkung des Menschenrechts auf Bewegungsfreiheit. Flüchtlinge werden in Deutschland einem bestimmten Landkreis oder einer Stadt zugewiesen. Dieses Gebiet dürfen sie nicht verlassen, außer mit einer Erlaubnis von der Ausländerbehörde. Die Residenzpflicht wird damit begründet, dass ein ständiger „Zugriff" auf die Flüchtlinge gewährleistet werden muss.
Die Flüchtlinge im Abschiebelager Halberstadt bekommen eine Duldung nur für den Landkreis Halberstadt, wenn sie nach wie vor bei der Passersatzbeschaffung nicht mitwirken.

Duldung

Die Duldung bescheinigt einem ausreisepflichtigen Ausländer die zeitweise Aussetzung der Abschiebung, wenn Abschiebungshindernisse vorliegen. Sie stellt aber kein Aufenthaltsrecht dar. Sie wird in der Regel für 3-6 Monate ausgestellt.
Die Flüchtlinge im Abschiebelager Halberstadt bekommen höchstens eine zweiwöchige Duldung, teilweise wird ihnen auch nur eine eintägige Duldung erteilt oder die Duldung ganz verweigert.
Ohne Duldung haben sie keinen gültigen Aufenthaltstitel, können also nicht einmal das Gelände verlassen. Bei jeder Kontrolle können sie festgenommen werden.

Abschiebehindernisse

Abschiebehindernisse können z.B. fehlende Passersatzpapiere oder Krankheiten sein. Auch drohende Folter oder Mord sind Abschiebehindernisse. Oft werden diese aber nicht anerkannt und müssen erleben, dass sie wie im Beispiel der Türkei nach Ankunft verhaftet, gefoltert oder gar ermordet werden.

Medizinische Versorgung der Flüchtlinge im Abschiebelager

Die medizinische Versorgung von AsylbewerberInnen und geduldeten Flüchtlingen ist auf ein Mindestmaß reduziert. Das heißt, dass die Erkrankung akut oder schmerzhaft sein muss, andernfalls muss sie nicht behandelt werden. Auf dem Gelände der ZAST gibt es nur eine Krankenschwester. Beim Hinzuziehen eines Arztes muss vorerst ein Krankenschein beim Sozialamt beantragt werden, auf Empfehlung der Krankenschwester. Der Arztbesuch kann jedoch nur vom Sozialamt genehmigt werden, wenn eine Duldung für den Tag vorliegt.
Die nächste erreichbare Arztpraxis liegt 7 km entfernt, d.h. da den Flüchtlingen keinerlei Geldleis­tungen zur Verfügung stehen, müssen sie diesen Weg zu Fuß bewältigen.
Für die Betroffenen stellen diese bürokratischen Hürden eine Schikane dar. Behandlungen werden häufig verweigert. Die medizinische Versorgung ist somit nicht gewährleistet.

John William

Am 03.04.2004 starb John William. Niemand hat auf seinen prekären Gesundheitszustand reagiert. Er wurde Anfang 2004 in die Uniklinik Halle-Köllwitz als komatöser Patient eingewiesen. Ende März ist er dann in das Altenpflegeheim Meyendorf eingewie­sen worden und verstarb dort am 04.04.04. Weder sein Anwalt noch die anderen Flüchtlinge im Ab­schiebelager wurden über seinen Tod informiert. Er wurde auf dem anonymen Urnenfeld in Kleinwanz­leben beigesetzt. sowohl der Anwalt als auch die Flüchtlinge wurden erst durch UnterstützerInnen im Juni von John Williams Tod informiert.

no lager halle, c/o Infoladen, Ludwigstr. 37, 06110 Halle

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