Am 29.08.09 findet eine Fachtagung zum Thema "Irreguläre Migration" in Magdeburg statt. Diese wird vom Ministerium für Gesundheit und Soziales organisiert. Inhalte sind nicht zu finden, aber eine Pressemitteilung des Innenministeriums:

Ministerium des Innern - Pressemitteilung Nr.: 184/09

Magdeburg, den 28. August 2009

Hövelmann fordert verlängerte Bleiberechtsregelung

Innenminister plädiert für "Entkriminalisierung des Ausländerrechts"

Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Hövelmann (SPD) hat eine Anschlussregelung für die zum Jahresende auslaufende Bleiberechtsregelung für geduldete Flüchtlinge gefordert. "Aufgrund der Wirtschaftskrise haben manche Betroffene noch keine Arbeit aufnehmen können. Deutschland tut sich keinen Gefallen, wenn diese Personen ihre Anstrengungen, auf eige­nen ökonomischen Füßen zu stehen, jetzt abbrechen müssen, weil sie in einen ungesicherten Rechtsstatus zurückfallen", sagte Hövelmann in Magdeburg. Er appellierte an die Innen­minister von CDU und CSU, zu einer gemeinsamen, prakti­kablen Lösung zu kommen.

Hövelmann äußerte sich bei einer Fachtagung zum Thema "Irreguläre Migration", die sich mit den Problemen und Folgen illegaler Zuwanderung befasst. Der Innenminister sprach sich dabei für eine "Entkriminalisierung des Ausländerrechts" aus. Bei Verstößen gegen das Aufenthaltsgesetz sollten nur noch "wirklich kriminelle Akte" strafbewehrt sein. Insbesondere soll­ten Menschen, die sich aus humanitären Gründen für Migranten ohne Papiere engagieren, dafür keine Strafverfolgung mehr befürchten müssen.

Die Rede im Wortlaut:

"Ich freue mich, dass ich heute zu Ihnen über ein Thema spre­chen kann, dass mir sehr wichtig ist. Für einen Innenminister, der sowohl für die Durchsetzung der gesetzlichen, also auch der ausländerrechtlichen Bestimmungen verantwortlich ist als auch für die Integration von Zuwanderern und den Schutz von Flücht­lingen, ist es gleichwohl kein einfaches Thema. Aus dieser doppelten Sicht eines Innenministers möchte ich einige Thesen zur Problematik irregulärer Migration zur Diskussion stellen:

Erste These: Illegale Zuwanderung und illegaler Aufenthalt sind ein Ergebnis politischer Weichenstellungen.

Es gibt im Prinzip nur drei Gründe dafür, illegal nach Deutschland zu kommen. Der erste Grund - und sicherlich der seltenste - ist, wenn sich jemand tatsächlich in krimineller Absicht im Untergrund aufhalten will; der zweite Grund ist, wenn jemand hierher verschleppt wird wie zum Beispiel die Opfer von Zwangsprostitution. Der dritte Grund, und hauptsächlich darüber reden wir heute, wenn jemand tatsächlich oder vermeintlich keine Möglichkeit zum legalen Aufenthalt hat. Mit anderen Worten: Illegale Migration ist verhinderte legale Migration.

Wer sich also mit dem Problem irregulärer Migration auseinandersetzen will, der darf sich nicht auf die Durchsetzung des Ausländerrechts und auch nicht auf humanitäre Erleichterungen beschränken, sondern muss die Frage stellen: Welche Möglichkei­ten zur legalen Zuwanderung und zur Legalisierung des Aufenthalts bieten wir an? Wer sich dieser Frage zuwendet, wird schnell feststellen, dass es viel zu beschränkte Möglichkeiten sind. Die Perspektiven für Migration, Integration und Einbürgerung in Deutschland sind völlig unzureichend, gemessen am Bedarf unserer Wirtschaft, un­seres Sozialstaats und an humanitären Kriterien.

Weder der Tod von Flüchtlingen auf dem Meer noch ein Leben von Migranten in ständiger Angst vor Entdeckung sind etwas, womit sich die reichen Gesellschaften Europas, die zugleich Zuwanderung dringend brauchen, abfinden könnten. Nur wenn wir die Weichen in Richtung regulärer Migration neu stellen, nur dann werden wir Menschen davon abhalten, illegale Wege nach Europa und nach Deutschland zu suchen.

Zweite These: Zahlenmäßig ist irreguläre Migration in Sachsen-Anhalt schwach aus­geprägt. Deshalb können wir damit besonders gelassen umgehen.

Illegal hier lebende Ausländer stellen in Sachsen-Anhalt nur eine verhältnismäßig kleine Gruppe dar. Wenn man die polizeiliche Kriminalstatistik zugrunde legt, kann man sogar davon ausgehen, dass die Zahl in den letzten zehn Jahren stark zurück­gegangen ist. Im Bundesgebiet sind die in der Statistik erfassten Fälle illegalen Auf­enthalts von 128.000 im Jahr 1999 auf etwa 51.000 im Jahr 2008 gesunken. In Sachsen-Anhalt war diese Entwicklung mit einem Rückgang von 1.200 auf 200 Per­sonen noch signifikanter. Im Verhältnis der Landes- zu den Bundeszahlen beträgt der Anteil Sachsen-Anhalts an der Gesamtzahl der bundesweit erfassten Personen somit etwa 0,4 Prozent.

Dies ist auch verständlich, da im Land nur relativ kleine ausländische Gemein­schaften existieren und auch der Arbeitsmarkt des Landes keinen großen Sogeffekt ausüben wird. Eine Gemeinschaft von Landsleuten, in der man sich unauffällig be­wegen kann und deren Netzwerk Unterstützung gewährt sowie die Möglichkeit, durch Erwerbstätigkeit Geld zu verdienen, sind aber nach allen wissenschaftlichen Er­kenntnissen die entscheidenden Faktoren für ein längerfristiges Leben in der Illega­lität.

Die Gruppe der irregulären Migranten ist nach den vorliegenden Erkenntnissen sehr heterogen. Die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit dürfte ein zentrales, aber nicht aus­schließliches Motiv für einen illegalen Aufenthalt sein. Zur Gruppe der Illegalen gehö­ren Menschen in den unterschiedlichsten Lebenssituationen.

Soweit bekannt, liegt der Schwerpunkt bei der Altersstruktur Illegaler zwischen 20 und 40 Jahren. Es befinden sich aber auch ältere, nachgezogene Migranten und eine nicht zu vernachlässigende Anzahl von Kindern in der Illegalität.

Zumeist sind illegal aufhältige Migranten alleinstehend. Das Geschlechterverhältnis korreliert stark mit den Beschäftigungsmöglichkeiten; beispielsweise sind Frauen aufgrund der dort hohen Nachfrage nach Haushaltshilfen eher in westdeutschen Städten vertreten. Räumliche Schwerpunkte finden sich insbesondere in Groß­städten und vor allem dort, wo Anschlussmöglichkeiten an jeweilige nationale Netz­werke bestehen.

Dritte These: Im Umgang mit Menschen in der Illegalität geht es neben der Durch­setzung ausländerrechtlicher Bestimmungen auch um die pragmatische Lösung humanitärer Probleme.

Solange ein illegal hier lebender Ausländer gesund ist, keine Kinder hat, sich seinen Lebensunterhalt durch eine Beschäftigung sichert und er hierbei nicht mit der Fi­nanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls oder der Polizei in Berührung kommt, mag ein Leben unbehelligt von den deutschen Behörden durchaus möglich sein.

Aber wie jedermann können irreguläre Migranten krank werden, ihre Arbeit verlieren und in Not geraten, ihre Kinder erreichen irgendwann das schulpflichtige Alter. Dies sind Situationen, in denen ein Leben in der Illegalität an seine Grenzen stößt, da die Betroffenen in diesen Fällen auf die Daseinsvorsorge des Staates angewiesen sind. Und hier wirken die Übermittlungspflichten nach dem Aufenthaltsgesetz häufig als abschreckendes Instrument.

Eine Krankenbehandlung ist grundsätzlich möglich. Neben der privaten Kranken­behandlung hat ein illegal in Deutschland lebender Ausländer aber auch Anspruch auf bestimmte Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Ein Schulbesuch ist ebenfalls grundsätzlich möglich. Bei Arbeitsaufnahme entsteht ein Lohnanspruch, der auch einklagbar ist. Der entscheidende Punkt ist also nicht das Fehlen eines An­spruchs, sondern die Gefahr einer Aufdeckung des illegalen Aufenthalts aufgrund der Übermittlungspflicht öffentlicher Stellen.

Im Spagat zwischen diesen unterschiedlichen Aufgaben und Ansprüchen des Staa­tes bin ich für jeden Vorschlag dankbar, der zur praktischen Verbesserungen in der humanitären Situation der betroffenen Migrantinnen und Migranten und ihrer Kinder führt. So hat besipielsweise hinsichtlich des Schulbesuchs von Kindern illegal hier lebender Ausländer der sonst nicht für überbordende Liberalität bekannte Bundes­innenminister Dr. Schäuble eine Einschränkung der Übermittlungspflichten befür­wortet. Er hat sich damit auf die Position meiner eigenen Partei zubewegt. Insbeson­dere für den Bereich des Schulbesuchs besteht in der Tat das Problem, dass Kin­dern aufgrund des elterlichen Verhaltens eventuell ein Schulbesuch vorenthalten wird. Sie können dadurch in ihrer Entwicklung verzögert werden, verlieren Zukunfts­chancen und haben schlechtere Integrationsbedingungen.

Aber auch durch einen Verzicht auf die Übermittlungspflicht im Aufenthaltsgesetz kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Ausländerbehörde Kenntnis von dem illegalen Aufenthalt erlangt, zum Beispiel durch anonyme Anzeigen. Die Problematik, dass Eltern aus Angst vor Entdeckung ihre Kinder nicht zur Schule schicken und ihnen damit Bildungschancen vorenthalten, kann daher allein durch eine Änderung des Aufenthaltsgesetzes im Bildungsbereich nicht gänzlich ausgeräumt werden.

Vierte These: Humanitäre Erleichterungen des illegalen Aufenthalts sind auf Dauer keine Lösung, da es sich in jedem Fall um höchst prekäre Lebenssituationen handelt.

So nutzt ein legaler Schulbesuch auch nur sehr eingeschränkt, wenn mit dem erlangten Abschluss keine Arbeitsaufnahme möglich ist.

Ich erinnere außerdem an die Fälle, in denen irreguläre Migranten von Menschen­händlern als billige Arbeitskraft ausgenutzt werden und ihr illegaler Status auch be­wusst als Druckmittel eingesetzt wird. Dies können wir auch aus sozialer Verantwor­tung nicht wollen. Wir müssen in umgekehrter Weise ein gemeinsames Interesse daran haben, dass diese Personen sich erstmals oder erneut dem ausländerbehörd­lichen Verfahren stellen und in diesem Kontext auch versuchen, die damit verbunde­nen humanitären und sozialen Fragen zu lösen.

Fünfte Thesen: Wir sollten das Ausländerrecht an entscheidender Stelle entkriminali­sieren.

Ich möchte hier für eine Lockerung der Strafvorschriften des § 95 Aufenthaltsgesetz plädieren. Diese Strafnorm betrifft nicht nur die betroffenen Ausländer selbst, son­dern auch ihre Unterstützer und Helfer, die sich der Gefahr einer strafbaren Beihilfe ausgesetzt sehen.

So sind unter anderem strafbar: der Aufenthalt ohne Pass, der Aufenthalt ohne gülti­gen Aufenthaltstitel oder Duldung, die Einreise ohne Pass oder Aufenthaltstitel. Dies sind im Wesentlichen die Strafvorschriften, gegen die irreguläre Migranten versto­ßen. Zudem macht sich strafbar, wer wiederholt einer räumlichen Beschränkung zu­widerhandelt. Die übrigen Vorschriften betreffen Falschangaben durch Ausländer, die Mitgliedschaft in Geheimorganisationen oder Auflagen im Rahmen von Maßnahmen der inneren Sicherheit.

Es stellt sich hier die Frage, ob bei den genannten Vorschriften in jedem Einzelfall wirklich schon ein strafrechtliches Unrecht vorliegt, das im Zweifel mit Freiheits­strafen geahndet werden muss.

In der Praxis werden zwar oftmals Ermittlungsverfahren eingeleitet. Häufig wird auf die Strafvorschriften des § 95 Aufenthaltsgesetz in Gerichtsverfahren nur im Zusam­menhang mit anderen Straftaten zurückgegriffen. Auch ist die Praxis nach den hier vorliegenden Erfahrungen zwischen den verschiedenen Gerichten in Deutschland sehr uneinheitlich. Meines Erachtens ist es durchaus in Erwägung zu ziehen, diese Strafvorschriften zu streichen oder zu ändern. Das Ausländerrecht könnte in diesem Punkt entscheidend entkriminalisiert werden und man könnte zugleich die strafrecht­lichen Vorschriften auf Taten mit tatsächlichem kriminellem Unrechtsgehalt fokussie­ren.

Wenn man diesen Weg gehen wollte, dann würde sich auch die Frage der Straf­barkeit von Helfern, außer bei wirklich kriminellen Akten, nicht mehr stellen. Men­schen, die humanitäre Hilfe für einen Illegalen leisten, müssen dann nicht mehr be­fürchten, sich strafbar zu machen.

Ein illegaler Ausländer, der sich einem asyl- oder aufenthaltsrechtlichen Verfahren stellen will, muss gegenwärtig ein strafrechtliches Verfahren wegen seines illegalen Aufenthalts bzw. seiner illegalen Einreise befürchten. Durch Streichung oder Ände­rung der Strafvorschriften des § 95 Aufenthaltsgesetz entfiele diese Hemmschwelle auf dem Weg zur Legalität. Auch entfielen so bei Ausländern zahlreiche strafrechtli­che Verurteilungen, die sich in einem aufenthaltsrechtlichen Verfahren oft als hinder­lich für eine mögliche Aufenthaltsverfestigung erweisen. Durch entsprechende Ände­rungen der Strafvorschriften des Aufenthaltsgesetzes könnte so ein entscheidender Schritt in Richtung Legalisierung und Verfestigung des Aufenthalts für viele Auslän­der erreicht werden."

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