05.11.09 Mitteldeutsche Zeitung / MZ - regional Wittenberg

Flüchtlingsunterkunft kommt auf den Prüfstand
Podiumsdiskussion
In der Evangelischen Akademie debattierten Vertreter aus Politik und Verwaltung mit Bewohnern des Möhlauer Asylbewerberheimes.

von Stephanie Hommers

WITTENBERG/MZ - "Viele sagen jetzt, sie wollen etwas ändern, aber am nächsten Tag stimmt es schon nicht mehr." Gespannt, aber mit einer gehörigen Portion Skepsis sitzt Fatma Ali am Dienstagabend im Veranstaltungssaal der Evangelischen Akademie und hört zu, was die Teilnehmer einer Podiumsdiskussion zu sagen haben. Es geht um ihr Leben. Es geht um die Bedingungen, unter denen die 13-Jährige zusammen mit ihrer Familie im Flüchtlingsheim in Möhlau ihre Tage verbringt - und das schon seit Jahren.

Vor dem Hintergrund der viel diskutierten und schon mehrfach scharf kritisierten Wohnbedingungen in der Gemeinschaftsunterkunft des Landkreises Wittenberg hatte die "Initiative runder Tisch Flüchtlingsheim Möhlau" zu einem öffentlichen Podiumsgespräch in die Evangelische Akademie nach Wittenberg eingeladen. Sie wollte damit die prekäre Wohnsituation für rund 200 Menschen am äußersten Rand der Ortschaft Möhlau zumindest geographisch von der Peripherie ins Zentrum rücken.

Auf dem Podium hatten Corinna Reinecke (SPD), Mitglied des Landtages von Sachsen-Anhalt und des Kreistages Wittenberg, und die Integrationsbeauftragte der Landesregierung Sachsen-Anhalt, Susi Möbbeck, Platz genommen. Aus Möhlau waren die beiden Heimbewohner Salomon Wantchoucou und Toure Dramane vertreten, mitdiskutiert haben die zuständige Geschäftsbereichsleiterin im Landkreis Wittenberg, Anke Tiemann, sowie der Vorstandsvorsitzende des Flüchtlingsrates Sachsen-Anhalt, Rechtsanwalt Christoph Kunz.

Als Moderator führte Tobias Thiel, Studienleiter der Evangelischen Akademie, durch eine knapp dreistündige Debatte mit hitzigen wie hoffnungsvollen Momenten rund um die Frage, wie die Integration der mehrheitlich geduldeten Heimbewohner vorangetrieben, ihre Lebenssituation verbessert werden könne. "Integration bedeutet zuallererst, etwas tun zu dürfen in der Gesellschaft in der man lebt", betonte Salomon Wantchoucou. Statt Integration erlebe man in Möhlau Isolation. Viele Menschen seien schon seit Jahren zur Untätigkeit verdammt. Neben der räumlichen Isolation beklagte Toure Dramane die aus seiner Sicht diskriminierende Ausgabe von Gutscheinen statt Bargeld und Probleme mit Vergabe von Krankenscheinen.

Anke Tiemann verwies auf die rechtlichen Rahmenbedingungen, die das Handeln des Landkreises in wesentlichen Teilen bestimmten und beschränkten und mit denen sie auch nicht glücklich sei. Die Integrationsbeauftragte wie auch der Vorsitzende des Flüchtlingsrates betonten dagegen, dass es durchaus Spielräume gebe. "Niemand ist gezwungen, die faktische Integration durch die Einrichtung einer völlig abseits gelegenen Unterkunft zu verhindern", unterstrich Christoph Kunz. Und Susi Möbbeck führte an, dass es in verschiedenen Landkreisen durchaus "unterschiedliche Entscheidungskulturen" gebe.

Weniger diplomatisch formulierte die Integrationsbeauftragte ihr Urteil über den Zustand des Heimes selbst. Was das Gebäude angehe, zähle Möhlau landesweit "zu den schlechtesten Unterkünften", es gebe "akute Mängel". Ob die notwendige Komplettrenovierung indes sinnvoll sei, bezweifelte sie. Susi Möbbeck plädierte dafür - auch unter finanziellen Aspekten - über eine dezentrale Unterbringung nachzudenken. Zumal die Entscheidung für eine zentrale Unterbringungsvariante nicht zuletzt durch rasant sinkende Asylbewerberzahlen in Frage gestellt würde: Kamen 1991 noch rund 15 000 Flüchtlinge pro Jahr nach Sachsen-Anhalt, waren es im vergangenen Jahr nicht einmal mehr 1 000.

Dass die Zügel in der Vergangenheit vielleicht ein wenig zu locker gehalten wurden, gestand Corinna Reinecke zu. "Die Evaluierung der Situation im Heim wurde vernachlässigt, sie muss nun dringend erfolgen." Die SPD-Abgeordnete sagte zu, dass sich der Kreistag intensiv mit dem Thema auseinander setzen werde und plädierte zudem dafür, die unmittelbar Betroffenen in diesen Prozess einzubinden. Auch Anke Tiemann versprach eine Prüfung innerhalb des nächsten halben Jahres mit dem Ziel "eine Lösung zu finden, die eine Verbesserung für die Heimbewohner bringt, ohne den gesetzlichen Rahmen zu sprengen". Fatma Ali ist gespannt, was aus den Ankündigungen wird. Und bleibt vorerst skeptisch.

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