08.06.2010, Junge Welt
Interview: Gitta Düperthal

Der Widerstand gegen die Lagerunterbringung muß schärfer werden.
Gespräch mit Salomon Wantchoucou

Salomon Wantchoucou lebt im ­Flüchtlingslager Möhlau

jw: Sie sind im Flüchtlingslager Möhlau, einer ehemaligen sowjetischen Plattenbau-Kaserne mitten im Wald, untergebracht. Die nächste Kreisstadt, Wittenberg, ist 35 Kilometer entfernt.

jw: Was war ihr Anliegen beim Festival der Karawane?

Salomon: Lager machen uns Flüchtlinge psychisch kaputt, einige werden aus Verzweiflung zu Alkoholikern. In Möhlau leben etwa 200 Flüchtlinge. Es gibt keine hygienischen Standards, keine Sauberkeit, Baumaterial liegt herum, Wasser tropft durch die Decke. Kakerlaken und »andere Haustiere« sind unterwegs. Am schlimmsten ist für uns aber, in Isolation zu leben, abgeschottet von der Gesellschaft. Die medizinische Versorgung ist unzureichend. Erkrankt jemand von uns akut, muß er erst mit dem Fahrrad nach Wittenberg fahren, um sich einen Krankenschein beim Sozialamt zu besorgen - sonst nimmt kein Arzt die Behandlung auf. Wir wollen für unsere Rechte kämpfen, dazu brauchen wir die Solidarität der Karawane und der Bürger. Unser Leben ist perspektivlos, uns ist alles verboten: Arbeiten, eine Ausbildung aufnehmen - dabei sind wir gebildete Menschen, unter uns gibt es Professoren, Gewerkschafter, Anwälte, Intellektuelle. Wir sind keine Banditen.

jw: Worunter leiden Sie am meisten?

Salomon: Dieses Lager muß geschlossen werden, wie all die anderen auch. Wir fordern, endlich alle Flüchtlinge in Privatwohnungen unterzubringen. Wir sind hier ausgesetzt und haben keine Chance - und das in einem demokratischen Land wie Deutschland. Wir haben keine Mobilität. Ein Auto können wir uns nicht leisten, ein Taxi nicht bezahlen. Zwei Mal monatlich bekommen wir Gutscheine im Wert von insgesamt rund 130 Euro - in einem Laden im mehr als 20 Kilometer entfernten Dessau einzulösen; und 20 Euro Taschengeld. Zynisch ist, daß wir, um einen Urlaubsschein zu beantragen, in die etwa 35 Kilometer entfernte Kreisstadt Wittenberg fahren müssen. Besorgen wir uns diese Sondergenehmigung nicht, konstruiert man daraus eine Straftat: Verstoß gegen die Residenzpflicht! Das ist Erpressung. So will man erreichen, uns keinen Aufenthalt geben zu müssen.

jw: Wie können Flüchtlinge sich wehren?

Salomon: Widerstand ist dringend notwendig und er muß verbreitert werden. Bei der Karawane und »The voice« organisierte Flüchtlinge bekämpfen das Elend an der Wurzel. Die politischen Parteien sollten unseren Kampf endlich aufgreifen. Es ist ihre Aufgabe, die Demokratie in Deutschland zu erhalten.

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