17.09.2010

Politik hinter verschlossenen Türen und offene Repressionen.
Neues zur Asylpolitik des Landkreis Wittenberg

Botschaftsvorführungen

Nachdem Anfang des Jahres insbesondere Flüchtlinge aus dem Kosovo und Syrien zu Botschaftsvorführungen genötigt wurden, weitete Anfang Juni die Ausländerbehörde des Landkreises die Vorführungen auch auf Flüchtlinge aus Afrika und Asien aus. So wurde ein Flüchtling am 09. Juni in die ghanaische Botschaft zu Berlin geladen.

Ein besonders absurder Fall spielte sich um eine ältere syrische Frau ab, die im Mai einen Schlaganfall erlitten hatte. Die Ausländerbehörde wollte die Reiseunfähigkeitsbescheinigung des behandelnden Hausarztes nicht akzeptieren und wies ihr mehrere Termine zu, zu denen sie trotz nicht vorhandener Deutschkenntnisse allein reisen sollte. Am 18. Juni wurde sie zu einer Untersuchung bei der Amtsärztin einbestellt. Die Amtsärztin schrieb sie erwartungsgemäß "reisefähig". So eingeschüchtert wagte die Betroffene nicht, auf die Bescheinigung ihres Hausarztes zu bestehen. In Begleitung ihres Mannes, der ebenfalls zur Botschaft vorgeladen war, fuhr sie am 23. Juni zur syrischen Botschaft nach Berlin. Dort kamen sie mehrere Stunden vor dem Termin an. Der syrische Botschafter und die beiden Flüchtlinge warteten gemeinsam auf die Ausländerbehörde, die Mittags eintreffen sollte. Schließlich schickte der Botschafter das Ehepaar mit den Worten "Sie sind doch krank" zurück nach Möhlau. Bei der nächsten Verlängerung der einwöchigen Duldung wurde die Frau zum wiederholten Male von der Angestellten der Ausländerbehörde beschimpft und bedroht; weitere Vorführungen wurden angekündigt. Einen neuen Termin bei der syrischen Botschaft hat sie bis jetzt aber noch nicht erhalten.

Der Gesundheitszustand der syrischen Frau hat sich in den vergangenen Jahren auf Grund einer starken Diabetes kontinuierlich verschlechtert. In Folge der mangelnden Behandlung, die von Seiten der Ausländerbehörde und des zuständigen Sozialamtes zu verantworten sind, musste die Betroffene Anfang Juli operiert werden. Sie hatte sich an der Schulter einen Bruch zugezogen, der zu einer Knochenentzündung geführt hatte.

Schließlich sollten am 26. August 2010 elf Flüchtlinge, die im Lager Möhlau leben müssen, zu einer Sammelvorführung bei der beninschen Botschaft in Berlin reisen. Hiervon war auch einer der Gründer der Flüchtlingsinitiative Möhlau/Wittenberg betroffen. U. a. fand eine bundesweite, erfolgreiche Fax-Kampagne statt. Die Sammelvorführung wurde abgesagt.

Ausländerbehörde und Härtefall-Kommission

Das Vorgehen der Ausländerbehörde Wittenberg lässt sich als ausgesprochen rigide und strikt beschreiben. Hierfür sprechen die vielen Fälle von langjährig Geduldeten (Kettenduldungen) im Landkreis. Viele von ihnen hätten die Möglichkeit ein Bleiberecht zu beantragen. Dafür müssten sie allerdings ein eigenes Einkommen nachweisen. Die Ausländerbehörde aber verweigert bisher systematisch die Zustimmung zu einer Arbeitserlaubnis für die Betroffenen.

Durch das Vorgehen der Ausländerbehörde des Landkreises sind immer wieder langjährig geduldete Flüchtlinge dazu gezwungen, sich mit ihren Anwälten an die Härtefall-Kommission zu wenden. So befasste sich die Härtefall-Kommission in Sachsen-Anhalt im Januar und August mit den Fällen von Roma bzw. Ashkali aus dem Kosovo, deren Kinder größten Teils in der BRD geboren wurden und hier schon seit bis zu 18 Jahren leben. Einem Teil der Kinder wurde bis heute keine Geburtsurkunde ausgestellt. Selbst Kinder im schulpflichtigen Alter haben z.T. keinerlei Beleg für ihre Existenz. Die Eltern haben so kein offizielles Dokument, dass ihre Mutter- bzw. Vaterschaft bezeugt. Dieser Umstand kann im Fall einer Abschiebung zur Trennung von Kindern und Eltern führen.

"Leben" im Lager Möhlau

Angestellte des Betreibers Wiesemann sind offensichtlich in Abwesenheit der Flüchtlinge wiederholt in ihre Zimmer eingedrungen, haben Schränke durchwühlt und versuchen Dokumente und Fotos zu finden, die sie an die Ausländerbehörde weitergeben können. Die Lagerbetreuer behaupten, sie würden "nur" in die Privaträume eindringen, um nachzusehen, ob die Flüchtlinge anwesend seien. Dieses Eindringen in die Privatsphäre findet auch statt, wenn die betroffenen Flüchtlinge bekannter Weise z. B. in einer Botschaft vorgeführt werden. Wenn Angestellte des Lagers vermuten, ein Flüchtling sei seit längerem abwesend und verstoße gegen seine Residenzpflicht, wird versucht, auf vermeintlich befreundete Flüchtlinge Druck auszuüben, um zu erfahren, wo die Abwesenden sein könnten. Auch wird immer wieder Post, besonders von Verwandten, geöffnet. Ergebnisse von medizinischen Untersuchungen des Gesundheitsamts werden ebenfalls an die Lagerbetreuer weitergegeben. Über diese Untersuchungen wird mit Dritten gesprochen. So erwächst eine Stimmung der Angst und des Misstrauens, der die Flüchtlinge im Lager Möhlau tagtäglich ausgesetzt sind.
Obendrein sind die Angestellten des Lagers, die sich teilweise als "SozialarbeiterInnen" bezeichnen, die einzigen AnsprechpartnerInnen der Flüchtlinge. Das Fehlen von unabhängigen, kompetenten Beratungsstellen für Flüchtlinge im Landkreis zwingt die Betroffenen, sämtliche Fragen, die in die soziale Beratung gehören, mit dem eigenen Anwalt zu klären, der von dem gekürzten Harzt 4-Satz (190 € oder gar 132 € in Gutscheinen und 20 € Bargeld) bezahlt werden muss.
Viele Flüchtlinge werden inzwischen von dem Psychozozialen Zentrum/PSZ in Halle betreut. Die fehlende Lebens- und Zukunftsperspektive, der ständige psychische Druck zermürbt die Flüchtlinge.

Lager- oder Wohnungsunterbringung?

Die Flüchtlinge erfuhren nur indirekt über die Entscheidung des Kreistages Wittenberg am 18. Juni, der entschied, dass der Vertrag mit dem Lagerbetreiber Wiesemann ab dem 01. Januar 2011 mit einer dreimonatigen Kündigungsfrist jederzeit gekündigt werden kann. Wann und ob überhaupt die Kündigung erfolgt, ist den Betroffenen nicht bekannt. Der Landkreis weigert sich weiterhin, die Flüchtlinge über seine zukünftigen Pläne ihrer Unterbringung zu informieren. Dementsprechend sind sie auf Gerüchte und Mutmaßungen über ihre zukünftige Wohnsituation angewiesen.

Derweil entsteht bei den Flüchtlingen der Eindruck, dass der Landkreis das Lager eher durch Abschiebungen leeren möchte anstatt den rund 200 im Landkreis verbliebenen Asylsuchenden ein angemessenes und menschenwürdiges Leben und Wohnen zu ermöglichen.

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