Neues Deutschland, 10.02.2004:
Proteste gegen Ausreisezentrum
Gespräch mit Antje Arndt vom Flüchtlingsrat
Das Innenministerium von Sachsen-Anhalt hat den Weiterbetrieb des Ausreisezentrums Halberstadt beschlossen. Wie bewerten Sie diese Entscheidung?
Wir halten sie für unverantwortlich. Dadurch wird das Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit verletzt. Unter dem Verdacht der Verschleierung von Identität und Staatsangehörigkeit werden Flüchtlinge ohne richterliche Überprüfung in das Ausreiselager eingewiesen, was als willkürliche Inhaftierung anzusehen ist. Eine Reihe von Einschränkungen, wie der Entzug jeglicher finanzieller Mittel, die Beschränkung der Bewegungsfreiheit auf die Stadt Halberstadt oder die täglichen Anwesenheitskontrollen führen faktisch zu Haftbedingungen. Im Gegensatz zur Strafhaft ist der Aufenthalt im Ausreiselager jedoch zeitlich nicht begrenzt. Die psychische Belastung der Betroffenen ist dementsprechend hoch. Depressionen und psychosomatische Erkrankungen sind die Folge.
In einem Offenen Brief kritisierten Flüchtlinge die Lebensbedingungen in dem Ausreisezentrum. Hat sich etwas geändert?
Wir versuchen uns über die aktuellen Bedingungen regelmäßig Informationen zu beschaffen. An der grundsätzlichen Situation, wie der faktischen Inhaftierung, Isolation, des psychischen Drucks, Schwierigkeiten bei der durch das Sozialamt zu erteilenden Genehmigung einer medizinischen Behandlung und der Reduzierung der Leistungen auf Essenspakete hat sich nichts geändert. Da diese Maßnahmen maßgeblich zur Willensbeugung eingeleitet werden, um eine Ausreise durchzusetzen, ist eine Verbesserung nicht abzusehen.
Ist der Eindruck richtig, dass im Gegensatz zu den Ausreisezentren in anderen Bundesländern der Widerstand in Sachsen-Anhalt geringer ist?
Die Zahl von Organisationen, Vereinen und Einzelpersonen, die sich für Flüchtlinge einsetzen, ist in Sachsen-Anhalt im Vergleich mit Bayern, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen gering. Trotzdem haben Initiativen und Vereine aus der Flüchtlingslobby, der Runde Tisch gegen Ausländerfeindlichkeit, die PDS und die Kirchen seit der Planung des Ausreiselagers in Halberstadt dagegen protestiert.
Sind auch nach der ministeriellen Entscheidung Schritte gegen das Ausreisezentrum geplant?
Wir sind bemüht, eine noch breitere Lobby zur Schließung des Ausreiselagers zu gewinnen. Dazu wurden Aktivitäten bei der Konferenz zur Flüchtlingsunterbringung in Sachsen-Anhalt im November letzten Jahres geplant. So werden wir einen Appell für die Schließung veröffentlichten.
Außerdem bleiben wir im Dialog mit den verantwortlichen Stellen. Vor dem Runden Tisch gegen Ausländerfeindlichkeit wollen wir am 11. Februar über das Ausreisezentrum diskutieren. Dabei wird die nächste Anhörung im Landtag vorbereitet.
Soweit es uns möglich ist, unterstützen wir auch in Zukunft Aktionen anderer Gruppen, Vereine und Einzelpersonen.