Weihnachten in Halberstadt
von Matthias Kramer - 24.12.2005
Im Jahre 2002 wurde in Halberstadt eine sogenannte Zentrale Ausreiseeinrichtung eingerichtet. Egal ob Atheisten, Christen oder Muslime werden die Menschen, die dort eingewiesen wurden sind, das vierte Weinachten in dieser Abschiebeeinrichtung begehen.
In rührseliger Stimmung wird der Christenmensch Klaus Jeziorsky, Innenminister von Sachsen/Anhalt in der Weinachtmesse die Geschichte von Maria und Joseph zur Kenntnis nehmen. Wie die hochschwangere Jungfrau Maria und ihr Joseph von Herberge zu Herberge ziehen und als Fremde keinen Einlass finden. Aber immerhin. sie werden weder des Landes verwiesen noch einer „Ausreiseeinrichtung“ zugeführt. Der Stall der sich letztendlich fand war zwar eine Wohnung für Tiere, trotzdem gab es dort noch so etwas wie Wärme und Geborgenheit.
„Das Schlimmste ist, und es tut uns leid dies sagen zu müssen, aber das Schlimmste ist, dass wir als Menschen im 21. Jahrhundert mit Methoden des Jahrhunderts der Lager zum Verraten unserer selbst gezwungen werden sollen. Bilder der vollen Flüchtlings- und Gefangenenlager sind immer sehr eindrucksvoll, wenn sie aus der Ferne kommen.
Wir leben hier in Halberstadt in einem Ausreiselager "...von Ausländerbehörden nach einem uns nicht erkennbaren Schlüssel ausgewählt und eingewiesen, unter anderem deshalb, weil wir "gewaltlos sind, sozial verträglich" wie es im Amtsdeutsch heißt - Halberstadt zumutbar.
Wir wollen als Menschen die Sehnsucht nach Freiheit nicht nur in den Köpfen haben sondern leben.“ Menschen aus dem Lager.
Im Jahre 2002 wurde in Halberstadt eine sogenannte Zentrale Ausreiseeinrichtung eingerichtet. Hierbei handelte es sich um ein „Modellprojekt“. In dem Projekt sollte getestet werden, mit welchen Methoden Menschen zu ihrer Abschiebung oder Illegalisierung gebracht werden können. Die Identitäten der Menschen die dort eingewiesen worden sind, sind nicht geklärt bzw. wird von den zuständigen Ausländerbehörden in Frage gestellt. Menschen ohne Papiere.
Mit der de facto Abschaffung des Rechts auf Asyl sank die Annerkennungsquote für das Recht auf Asyl bundesweit auf 2 %.
In Sachsen Anhalt leben ca. 44000 Ausländer und Ausländerrinnen. Das sind 1.7% der Gesamtbevölkerung in diesem Bundesland. Davon waren im Jahre 2004 1800 Menschen, die einen Antrag auf Asyl gestellt hatten. Während im Jahr 1992 immerhin noch 16 000 Menschen im Jahr versuchten ein Recht auf Asyl zu bekommen, sank diese Zahl im Jahre 2005(Oktober) auf 966 Menschen. Die Länder aus denen diese Menschen geflüchtet sind zeigen sehr deutlich, das die auch neuerdings in der linken Hetze gegen Migranten und Migrantinnen vorgebrachten Thesen, dass es sich um die Reichen, Starken und Schönen handeln würden, nicht stimmt. Die Menschen kamen und kommen aus der ehemaligen Sowjetunion, vor allem Tschetschenien, aus der ehemaligen jugoslawischen Republik, vor allem Serbien/Montenegro/Kosovo, aus dem Nahen Osten, Irak und aktuell Syrien sowie der Türkei/Kurdistan. In diesem Jahr waren dies u.a. aus Serbien/Montenegro 179 Menschen, die Türkei (129), Vietnam (103) und Syrien (80).
Die Menschen die nach Sachsen Anhalt flüchten kommen alle direkt aus den Konfliktlinien der internationalen Politik. Vom deutschen Angriffskrieg gegen die jugoslawische Republik bis hin zum Irakkrieg. Während im osteuropäischen Raum vor allem Sinti und Roma von der Repression und Verfolgung betroffen sind, sind das im Nah Ost und in der Türkei Kurden und Kurdinnen.
Die Pervertiertheit des deutschen Denkens offenbart sich in der sogenannten Mitwirkungspflicht. Die Menschen, die zu uns flüchten haben alle mehr als nur einen Grund für ihre Anträge. Bei 98 % dieser Menschen wird der Antrag abgelehnt. Die Entscheidung, die in der Regel in den ersten 14 Tagen getroffen wird, bedeutet für diese Menschen das ihre eigene Perspektive bei sehr vielen auch die Existenz in Frage gestellt wird. In dieser Situation erwarten deutsche Gesetzgeber und Politiker das diese Menschen aktiv und initiativreich an ihrer eigenen Abschiebung mitwirken. Die Mitwirkungspflicht selber ist jedoch nirgends definiert. Die Menschen, die in die „Ausreiseeinrichtung“eingewiesen wurden, verweigern weder die Teilnahme an den permanenten Verhören noch die Teilnahme an den Vorführungen bei den Botschaften.
In die „Zentralen Ausreiseeinrichtung“ werden Menschen eingewiesen, deren Antrag auf Asyl abgelehnt wurde und deren Identität in Frage gestellt wird. Die Zielstellung bestehe darin, durch eine „intensive soziale Betreuung“ die „Mitwirkungspflicht bei der Passersatzbeschaffung“ durch die Flüchtlinge zu erreichen.
Die Menschen werden ständig verhört. Auf der Grundlage von Sprachgutachten wird die Identität festgelegt. In der Regel stellen diese Gutachter und Gutachterinnen Herkunftsländer fest, bei denen es keine Gründe gibt die eine Abschiebung verhindern könnten. Dabei sind sie recht flexibel. Ein Mensch, der von 2002 bis zum Jahr 2004 als Bürger der Elfenbeinküste galt, wurde nachdem es dort zu Auseinandersetzungen mit der de facto französischen Besatzungsmacht kam, zu einen Bürger von Ghana im Jahre 2005. Nachdem die Identität „festgestellt“ wurden ist, werden diese Menschen regelmäßig den regulären Botschaften oder auch mehr als fragwürdigen Delegationen, wie z.B der aus Guinea in Hamburg vorgeführt. In der Regel verweigern die Botschaften dann die nötigen Papiere. Damit wäre die eigentliche Prozedur abgeschlossen. Das ist aber nicht so.
Weitere Maßnahmen der „intensiven sozialen Betreuung“ sind u.a. das die Residenzpflicht strikt auf die Stadt Halberstadt begrenz wird. Die Duldung müssen sich die Flüchtlinge wöchentlich, teilweise sogar im Tagesrhythmus verlängern lassen. Die medizinische Versorgung wird nur für das allernotwendigste gewährt. Es gibt keinen Arzt/Ärztin im Lager, sondern nur eine Krankenschwester, von der sich die Flüchtlinge begutachten lassen müssen, um über einen sehr bürokratischen Weg einen Krankenschein zu erlangen. Dann müssen sie sich auf einem ca. 7 km langen Fußmarsch begeben, um endlich vom zuständigen Arzt behandelt zu werden.
Viele Flüchtlinge im Lager sind krank. Neben physischen Leiden stehen vor allem die psychischen im Vordergrund, wie Schlafstörungen, Angst und Depressionen. John Williams, der zwei Jahre im Ausreiselager lebte, verstarb am 4.April 2004. Bis heute ist die Frage, welche Auswirkungen die Lebensbedingungen vor Ort auf seinen Krankheitsverlauf hatten, nicht vollständig geklärt.
Eine weitere Verschärfung der Situation ergibt sich aus der Tatsache, dass die Menschen im Abschiebelager keine finanzielle Mittel erhalten. Die Sachleistungen sind völlig ungenügend, um ein halbwegs menschenwürdiges Leben führen zu können. Die Menschen erhalten nicht einmal Busfahrscheine oder Briefmarken.
„Ein Leben wie die Tiere, für Essen und Schlafen ist gesorgt“, so L., ein Mensch aus dem Abschiebelager.
Im Jahre 2004 wurde aus dem „Modelprojekt“ eine ständige Einrichtung. Die Zivilgesellschaft unter deren Aufsicht dieses Experiment laufen sollte hat sich weder damals noch heute dafür interessiert. Bereits im Jahre 2003 hatte es einen Runderlass des Innenministeriums gegeben, mit dem die Bedingungen in der „Ausreiseeinrichtung“noch weiter verschärft wurden. So wurde der Personenkreis, der in diese Einrichtung eingewiesen werden kann, von bisher nur ledige Männer auf Frauen und kinderlose Ehepaare, erweitert. „Urlaubsanträge“sollen nur noch sehr „restriktiv“ gehandhabt werden. „Urlaubsanträge“, das muss mensch wahrscheinlich auch nocheinmal deutlich sagen, sind Anträge von Flüchtlinge von Halberstadt nach einen anderen Ort fahren zu dürfen. Mit Urlaub haben diese Anträge nichts zu tun.
Im Zuwanderungsgesetz von 2005 wurden die rechtlichen Grundlagen für die sogenannten Ausreisezentren geschaffen. Auch das kennzeichnet sehr anschaulich die Situation. Mit Hilfe von Verordnungen wurden seit 2002 Rechtszustände geschaffen, die erst im nach hinein durch die Gesetzgeber legitimiert wurden sind.
Die Menschen, die in das „Ausreisezentrum“eingewiesen wurden, führen eine Leben zwischen der kompletten Frustration und dem immer wieder neu organsierten Widerstand gegen ihre Unterdrückung. In Halberstadt sind diese Menschen fast vollständig isoliert. Selbst in den Orten nichtrechter und alternativer Jugendkulturen werden sie fast ausschließlich als „Neger“ und angebliche sexuelle Belästiger wahrgenommen.
Im Gegensatz zur Abschiebehaft ist diese Maßnahme nicht zeitlich befristet. Es gibt Menschen, die seit 2002 in diese Einrichtung eingewiesen wurden sind. Egal ob Atheisten, Christen oder Muslime werden sie das vierte Weinachten in dieser Einrichtung begehen.
Immer wieder müssen sich diese Menschen mit der Frage, ob sie sich durch die eigene Illegalisierung diese Maßnahme entziehen, auseinandersetzen. Über 50 % der Menschen die dort eingewiesen worden sind, haben diesen Schritt inzwischen getan.
In diesem Jahr organisierten diese Menschen gemeinsam mit UnterstützerInnen aus Magdeburg und Halle eine Demonstration vor dem Innenministerium in SachsenAnhalt. Im Amstgericht Halberstadt wurde eine Verfahren wegen eines Verstoßes gegen die Residenzpflicht eingestellt. Der Richter begründete diese Entscheidung mit dem Verhältnis von Aufwand und Nutzen. Trotzdem steht der juristische Fakt das ein auch zugegebener Verstoß gegen die Residenzpflicht als nicht verfolgungspflichtig eingestuft wurden ist. Vor dem Oberverwaltungsgericht in Magdeburg fand das erste Gerichtsverfahren gegen eine Einweisung in das „Ausreisezentrum“ statt. Auch in diesem Fall argumentierte der Richter ausschließlich formaljuristisch. Aber durch die Gewährung von Prozesskostenbeihilfe für den Kläger hat er zumindestens zu erkennen gegeben, das es sich um einen rechtlich zu prüfenden Fall handelt. Das Urteil wird in diesen Tagen bekanntgegeben.
Die Menschen in dem "Ausreisezentrum" benötigen nicht unsere "Nächstenliebe" noch Krokodilstränen die diverse Linke über das Leben von Illegalen öffentlichkeitswirksam vergießen. Sie benötigen unsere aktive Solidarität bei der Organisierung des Widerstandes, den sie auch im kommenden Jahr leisten werden.
weiter Infos
http://www.nolager.de/
http://abschiebelagerhalberstadt.net.tf/