15. November 2007:
Barbara Knöfler zu TOP 7:
Antrag "Zur Einrichtung einer Gemeinschaftsunterkunft in den Räumlichkeiten der ZASt in Halberstadt"

Die Landesregierung von Sachsen-Anhalt beabsichtigt ab Januar 2008 grundsätzlich alle neu nach Sachsen-Anhalt kommenden Asylbewerberinnen und Asylbewerber nach der Erstaufnahme - diese umfasst maximal 3 Monate - bis zum Abschluss ihres Asylverfahrens, längstens damit noch einmal 12 Monate (also insgesamt 15 Monate) in einer Gemeinschaftsunterkunft ZASt in Halberstadt unterzubringen.

Dieses Vorhaben lehnt die Fraktion DIE LINKE mit dem ihnen vorliegenden Antrag strikt ab und fordert die Landesregierung auf, von der geplanten Belegung einer Gemeinschaftsunterkunft in der ZASt Halberstadt mit Asylbewerberinnen und Asylbewerbern nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 Aufnahmegesetz Sachsen-Anhalt unbedingt Abstand zu nehmen.

Wir bewerten die Absicht der Landesregierung als inhuman, nicht akzeptabel und den falschen Weg, der unweigerlich und zu guter letzt in eine Sackgasse für alle Betroffenen führen wird. Wir erwarten deshalb von der Landesregierung ein Umdenken und eine Umkehr.

Für die Faktion DIE LINKE steht folgendes außer Frage: Im Mittelpunkt aller Bestrebungen müssen erfolgreiche Integrationsmaßnahmen stehen, nicht die Konzentration und die unweigerlich folgende Isolation von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern. Fiskalische Sparzwänge sind in diesem Zusammenhang völlig unangebracht.

Im Aufnahmegesetz des Landes Sachsen-Anhalt hat der Landtag den Grundsatz der Dezentralisierung festgeschrieben. Das war der politische Wille der Parlamentarier, das war die Grundintention des Gesetzgebers.

Ich möchte an dieser Stelle an die Diskussion im Landtag von Sachsen-Anhalt Anfang 1998 erinnern. In der parlamentarischen Debatte sagte Herr Dr. Püchel, Minister des Innern a. D., folgendes: "...Vielmehr geht es darum, dass es für die Konzentrierung von Flüchtlingen in fünf bis sechs Großunterkünften mit mehr als 1.000 Plätzen und Dutzenden verschiedenen Nationalitäten der Bewohnerinnen und Bewohner mittlerweile keine Rechtfertigung mehr gibt. Die Zahl der Asylbewerber ist in den letzten Jahren stark zurückgegangen. Wichtiger noch ist: Hier im Land ist man inzwischen seitens der Kommunen, der Wohlfahrtsverbände und der privaten Heimbetreiber - anders als in den Anfangsjahren - auf die dezentrale Unterbringung von Flüchtlingen und Aussiedlern eingestellt. Wir brauchen deshalb die für ein dezentrales Unterbringungskonzept erforderliche Gesetzesänderung. Sie wird eine größengerechte Verteilung der Aussiedler und ausländischen Flüchtlinge auf alle Landkreise und kreisfreien Städte des Landes erlauben...."

Frau Leppinger (SPD) sagte folgendes: "...Die Unterbringung in kleineren Unterkünften kann dazu führen, dass eine zureichende soziale Infrastruktur vorhanden ist und soziale Brennpunkte vermieden werden können..."

Und Herrn Tschiche (Bündnis 90/Die Grünen) möchte ich wie folgt zitieren: "...Übergroße Unterkünfte werden durch die gerechte Verteilung auf alle Landkreise und kreisfreien Städte weitgehend entbehrlich. Das war von vornherein unser politisches Ziel...... Die Unterbringung wird dadurch den Grundbedürfnissen der Menschen besser gerecht, ohne unbedingt teuer zu sein.....Wenn Sie es so wollen,...., es entsteht eine Art pädagogischer Effekt dadurch, dass überall im Land Ausländer und Ausländerinnen sind. Wir beschreiten damit einen therapeutischen Weg, damit die Gesellschaft in Deutschland eine weltoffene Gesellschaft bleibt..."

Soviel zur damaligen zweiten Beratung zum Landesaufnahmegesetz.

Und die besagten Zitate belegen unmissverständlich, dass die Grundintention einer dezentralen Unterbringung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern im Land fest verankerter politischer Wille des Gesetzgebers war und ist.

Und gerade deshalb ist es für DIE LINKE keinesfalls akzeptabel und hinnehmbar, dass die Landesregierung mittels Erlass beabsichtigt, ein Gesetz und dessen politisches Grundanliegen, welches der Landtag verabschiedet und verankert hat, zu unterlaufen und damit zu ändern.

Sehr geehrter Herr Minister, Sie und Ihr zuständiges Dezernat begründen dies hauptsächlich mit den seit einigen Jahren rückläufigen Zahlen von Asylsuchenden und einer daraus folgenden Notwendigkeit der Optimierung der Kosten der ZASt Halberstadt im Landeshaushalt. Aber die "sinnvolle Auslastung einer Landeseinrichtung", eine vorhandene personelle und sächliche Infrastruktur dürfen dabei nicht vordergründige Kriterien sein.

Eine notwendige Kostenoptimierung ist meines Erachtens nach kein gutes Argument, Menschen, die nach dem Erleben von Entbehrungen, Repressalien, Verfolgung und der Flucht aus ihrem Heimatland hier in Sachsen-Anhalt ankommen, in einer Gemeinschaftsunterkunft mit Gemeinschaftsverpflegung und in isolierter Lage unter zu bringen. Das kann und darf nicht Ausdruck für ein weltoffenes und fremdenfreundliches Sachsen-Anhalt sein.

Eines möchte ich aber ausdrücklich betonen: Unser Antrag stellt in keiner Weise die Kompetenz und das Engagement der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der zentralen Anlaufstelle in Frage. Im Gegenteil, gerade sie haben in den vergangenen Jahren mit viel Mühe dazu beigetragen, dass Vorurteile der Bevölkerung gegenüber Flüchtlingen in Halberstadt abgebaut sowie Spannungen vermieden wurden und eine gesellschaftliche Akzeptanz in der Bevölkerung erreicht wurde.

Eine weitere Konzentration von Asylsuchenden würde dieser Arbeit aber zuwider laufen.

Gegen die Belegung der Gemeinschaftsunterkunft ZASt sprechen aber noch andere gewichtige Gründe.

Derzeit befinden sich auf dem Gelände der ZASt in Halberstadt:

• die zentrale Aufnahmestelle des Landes auf der Grundlage des Asylverfahrensgesetz,
• die Ausreiseeinrichtung für gesetzlich Ausreisepflichtige und
• eine Gemeinschaftsunterkunft, in der zur Zeit die Bewohner der ehemaligen Gemeinschaftsunterkünfte aus dem ehemaligen Landkreis Schönebeck und dem ehemaligen Landkreis Quedlinburg untergebracht sind.

Eine gemeinsame Unterbringung von Asylsuchenden in der Erstaufnahme, von geduldeten Flüchtlingen mit unklarer Bleibeperspektive und ausreisepflichtigen Flüchtlingen im Ausreisezentrum in einer Einrichtung führt unweigerlich zu Konflikten und ist unter humanitären Aspekten problematisch.

Die Flüchtlingsorganisationen weisen immer wieder zurecht auf das Problem der Gemeinschaftsverpflegung hin.

Hier geht es nicht um die Qualität der Küche. Vielmehr geht es um die Bedeutung, die das Einkaufen und das Selbstzubereiten von bekannten Speisen aus dem Herkunftsland für die psychische Stabilität der Flüchtlinge haben. Diese Einwände wurden mit dem Hinweis auf die kurze Verweildauer von max. 3 Monaten in der ZASt stets zurückgewiesen.

Bei einer Verweildauer von bis zu 15 Monaten stellt sich das Problem aber in schärferer Form. Insbesondere für Familien ist eine komplette Fremdversorgung über einen so langen Zeitraum nicht akzeptabel.

Die Zahl der Asylbewerberinnen und Asylbewerber ist im ersten Halbjahr 2007 gegenüber dem entsprechenden Vorjahreszeitraum um 21,7 % zurückgegangen.
Und gerade diesen Rückgang sollte man dazu nutzen, die begonnene Dezentralisierung weiter zu entwickeln und künftig Flüchtlinge generell in Wohnungen unterzubringen.
Dieser Schritt wäre humanitär geboten und dringend überfällig, ein richtiger Schritt in Richtung Bekämpfung von Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus in unserem Land.

Gerade in der Harzregion hat sich in letzter Zeit eine starke Infrastruktur von rechtsextremistischen Organisationen entwickelt. Es kommt häufiger zu Übergriffen mit fremdenfeindlichem Hintergrund in dieser Region. Eine derartige Konzentration von Flüchtlingen im Umfeld von Halberstadt würde zu einer weiteren Verschärfung der Situation führen.

Die zentrale Unterbringung großer Flüchtlingszahlen in der ZASt haben Anfang der 90er Jahre zu enormen Akzeptanzproblemen in der Aufnahmegesellschaft geführt und der fremdenfeindlichen Propaganda rechtsextremer Gruppen Vorschub geleistet.
Wir sehen hier schon die Gefahr, dass eine erneute Konzentration, wenn auch bei geringeren Flüchtlingszahlen, erneut zu ähnlichen Problemen führen könnte.

Bürgerinnen und Bürger außerhalb von größeren Städte haben jetzt schon so gut wie keine Möglichkeit, interkulturelle Erfahrungen zu machen.

Eine weitere Konzentration von Flüchtlingen in Halberstadt, würde einerseits diese strukturellen Defizite verstärken, andererseits aber auch die subjektiv empfundenen Ängste und Bedrohungsgefühle der Menschen, die dann mit einer noch größeren Gruppe von Fremden konfrontiert werden, evtl. verstärken.
Flüchtlinge in Sachsen-Anhalt haben ohnehin ein überdurchschnittlich hohes Risiko, Opfer eines fremdenfeindlichen Übergriffs zu werden.

Demgegenüber hätte eine dezentrale Unterbringung in Wohnungen den Vorteil, dass die Flüchtlinge als Einzelpersonen, als Familien, als Nachbarn wahrgenommen werden und so die Chance zu Begegnung, Kennen lernen und Akzeptanz besteht.

Gerade vor dem Hintergrund sinkender Flüchtlingszahlen sollte also der Grundsatz einer dezentralen Unterbringung in Wohnungen qualitativ weiterentwickelt werden.

Die häufig vorgetragene Behauptung, eine Unterbringung in Wohnungen sei teurer als in Gemeinschaftsunterkünften ist unbedingt unter Einbeziehung aller gesellschaftlicher Folgekosten und mit Blick auf den Bestand an leerstehenden Wohnungen einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Auch müssen hier die Kosten, die bei größeren Gemeinschaftsunterkünften durch ungenutzte Kapazitäten und längerfristige Vertragsbindungen bestehen, berücksichtigt werden.

Vor dem Hintergrund dieser Argumente möchte ich noch einmal auf den Punkt 4 unseres Antrages verweisen. Die angebotene Hilfe im Zuge der Kreisgebietsreform eine kurzfristige Unterbringung zu ermöglichen, war sicher legitim.
Sie darf aber nicht dazu führen, dass Landkreise sich Ihrer Verpflichtung der Aufnahme und Betreuung von Flüchtlingen auf diese Art und Weise entziehen.

Die LIGA der Freien Wohlfahrtsverbände, der Flüchtlingsrat, der Runde Tisch gegen Ausländerfeindlichkeit und das Bündnis für Integration und Zuwanderung, in dem auch die Parteien der in diesem Hause sitzenden Fraktionen Mitglied sind, unterstützen das Anliegen unseres Antrages.

Dank des Engagements der neuen Integrationsbeauftragten, Frau Möbbeck, haben Sie, Herr Minister Hövelmann, jetzt zumindest Verbände und Vereine, die in der Flüchtlingsbetreuung seit Jahren aktiv sind, um eine schriftliche Stellungnahme zum geplanten Vorhaben gebeten.

Die Fraktion DIE LINKE hält jedoch eine Anhörung zur Problematik im Ausschuss für Inneres für den besseren und weiterführenden Weg.

Es bleibt unsererseits zu hoffen, dass die dann vorgetragenen ablehnenden Argumente mit dazu beitragen, das Vorhaben der Belegung der GU-ZASt für den Zeitraum des Asylverfahrens ad Acta zu legen.

Stimmen Sie unserem Antrag mit Blick auf das Bemühen um ein Klima von Toleranz und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt zu.

Den Alternativantrag von CDU und SPD lehnen wir ab.

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