11.03.08 - 20 Uhr 11.03.08 - 20 Uhr - Vortrag im VL, Ludwigstr. 37, Halle/S.
"Frontex vernetzte "Sicherheit" an den Außengrenzen,
Warum immer weniger AsylbewerberInnen nach Sachsen-Anhalt kommen."
Christoph Marischka, Informationsstelle Militarismus, Tübingen

Die Gründung der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen (Frontex) offenbart die antidemokratische und aggressive Politik, die von Rat und Kommission im Umgang mit Migranten und auch der eigenen Bevölkerung verfolgt wird. Die Politik der Inneren Sicherheit der EU wird und wurde bislang in geheimen Zirkeln und informellen Gremien vorbereitet. Wesentliche Wegmarken, welche die weiteren Entwicklungen vorstrukturierten, wie der Prümer Vertrag oder das Schengener Abkommen, wurden außerhalb des EU-Rechtsrahmens von den nationalen Regierungen durch internationale Verträge oder von einzelnen Ministerien per Verwaltungsabkommen gesetzt. Seit den Siebziger Jahren gab es eine europäische Zusammenarbeit zwischen Polizeien, Geheimdiensten und Militärs. Auch sie betraf zunächst Drittstaatenangehörige und wurde zunehmend auf Bereiche wie Organisierte Kriminalität, Hooligans und politisch motivierte Menschen ausgedehnt. Mit fortschreitender Integration wurden viele dieser Kooperationen in EU-Recht überführt, legalisiert, ohne beispielsweise dem deutschen Grundgesetz oder den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts zu entsprechen. Die EU bot sich den nationalen Innenministerien als rechtliche Parallelstruktur an in der sie als Exekutive zugleich gesetzgeberisch tätig werden konnte.

Frontex vernetzt nationale Geheimdienste, Zoll und Grenzpolizeien, die nebulöse Behörde EUROPOL, deren Beamte Immunität genießen, mit dem EU-Auslandsgeheimdienst SITCEN, mit den EU-Satellitenprogrammen EUSC und GMES. Frontex vernetzt Ausländerbehörden mit den Anbietern von Sicherheitstechnologie und diese wiederum mit wissenschaftlichen Instituten und den Militärs. Frontex zielt auf eine umfassende zivil-militärische Kontrolle der Bevölkerung ab.

Das neue Frattini-Programm zur Inneren Sicherheit ließt sich wie ein Horrorkatalog und basiert wesentlich auf Empfehlungen von Frontex. Alle "Ausländer" sollen bei der Einreise in die EU biometrisch erfasst und gespeichert werden (die technischen Möglichkeiten hierzu hat Frontex evaluiert). Wessen Visum abläuft, der wird in Datenbanken vermerkt (die u.a. Frontex zur Verfügung gestellt hat). Die Außengrenzen sollen durch modernste Technologie einschließlich so genannter Drohnen überwacht werden (eine entsprechende Machbarkeitsstudie hat Frontex vorgelegt). Für EU-Bürger hingegen soll das Reisen komfortabler werden. Das ist eine dreiste Täuschung und ein Versuch der Spaltung.

Acht Millionen "Illegale" werden in der EU vermutet, dazu kommen weitere Millionen, die einen prekären Aufenthaltsstatus haben und bei jeder falschen Bewegung oder durch einfache Gesetzesänderungen "illegal" werden können und Menschen, die sich zwar in einem Mitgliedsstaat aufhalten dürfen, aber keine Reisefreiheit haben. Dazu kommen noch einmal hunderttausende Familienangehörige, Touristen und Saisonarbeiter. Letztere werden sogar auf der ganzen Welt angeworben, weil die EU auf den Import von Bevölkerung und Arbeitskraft angewiesen ist. Dennoch will sie diese einer technologisch gestützten polizeilich-militärischen Kontrolle unterwerfen. Ebenso, wie den Rest der Bevölkerung. Denn: wer tatsächlich komfortabler Reisen will und tatsächlich noch zum Auslaufmodell des unbescholtenen kerneuropäischen Bürgers gehört, muss sich die Augeniris freiwillig scannen lassen. Außerdem werden die hier entwickelten Technologien ganz sicher im Laufe der Zeit auf Terrorverdächtige und die Organisierte Kriminalität angewandt; und auf deren "Kontaktpersonen": Vermieter, Kunden, Gemeindemitglieder. Zukünftig soll Frontex auch die nationalen Zollbehörden vernetzen. Es gibt selbst innerhalb der EU Waren, die in einem Mitgliedsstaat erworben und im nächsten nicht einmal besessen werden dürfen. Wer dabei noch für "Recht und Ordnung" sorgen will, der muss eigentlich alles überwachen.

Doch wer kontrolliert die Kontrolleure? Jedenfalls nicht die nationalen Parlamente, denn die werden nicht einmal gefragt, wenn der Staat Frontex Material und Beamte zur Verfügung stellt. Auch nicht die nationalen Regierungen, denn die deutsche behauptete auf Anfrage: "Die Europäische Grenzschutzagentur hat ... eine eigene Informations- und Datenhoheit und steht gegenüber den Mitgliedstaaten nicht in einer Informationspflicht bzw. Pflicht zur Datenweitergabe. Informationen, die interne Ablaufprozesse der Agentur oder Kooperationen mit anderen Mitgliedstaaten betreffen, liegen nicht in der Zuständigkeit der Bundesregierung." Auch das Europäische Parlament weiß nicht genau, was Frontex genau macht. Dessen Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres hatte den Exekutivdirektor Laitinen von Frontex einmal zu einer Anhörung eingeladen. Laitinen erschien nicht und reagierte auch nicht auf die Einladung. Laitinen untersteht lediglich dem Verwaltungsrat, der ihn ernennt und auf seine Vorschläge hin jährlich ein Arbeitsprogramm beschließt. Der Verwaltungsrat setzt sich aus zwei Vertretern der EU-Kommission und jeweils einem Vertreter der EU-Mitgliedstaaten bzw. der Schengen-Staaten zusammen. Frontex kann mit jeder Regierung und Organisation Kontakt aufnehmen und Kooperationen eingehen. Die Organisation betont dabei stets, dass sie als "autonome Agentur" nicht "politisch" und nicht als Vertreter der EU handele. Für größere Maßnahmen und die Ausübung exekutiver Funktionen, etwa Einsätze der Rapid Border Intervention Teams (RABITS) im Falle von "Ausnahme- und Notsituationen", benötigt sie jedoch die Unterstützung der Mitgliedsstaaten. Wer dann für das Handeln der eingesetzten Beamten zuständig ist, ist rechtlich allerdings noch nicht geklärt und das liegt vermutlich durchaus im Interesse der Agentur und der sie beauftragenden Staaten. Jedenfalls beschäftigt sich Frontex bei aller Vielseitigkeit auffallend wenig mit den Rechtsgrundlagen des eigenen Handelns.

Dies alles mag paranoid wirken und das ist es auch. Paranoia und Allmachtsphantasien liegen dicht beieinander: Beide bestehen in einem Verlust der Wahrnehmung der eigenen Grenzen. In diesem Falle sind es die Grenzen der Rechtsstaatlichkeit und der Kontrollfähigkeit. Die EU tätigt ein Fünftel des Welthandels, sie will durch Interventionen entfernte Regionen stabilisieren und durch "Nachbarschaftspolitik" ihre Umgebung gestalten. "Wenn ein illegaler Migrant unsere Außengrenze erreicht hat, hat unsere Politik versagt". Wer so denkt, der muss dem Wahn einer totalen Kontrolle erliegen. Frontex ist Ausdruck einer paranoiden und gemeingefährlichen Union.

IMI / Informationsstelle Militarismus Tübingen
Materialien vom IMI:
Bröschüre 2008/01 - Was ist Frontex
Standpunkt 2008/012 - Frontex simuliert den Notstand
Studie 2007/11 - FRONTEX: Die Vernetzungsmaschine von Christoph Marischka

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